Architekturhistoriker Gert Kähler: „Die Auseinandersetzung zwischen Bestand und Moderne ist spannend“

Architekturhistoriker Gert Kähler: „Die Auseinandersetzung zwischen Bestand und Moderne ist spannend“ 1920 1280 Verena Liebeck
#behind­the­s­cenes

Architekturhistoriker Gert Kähler: „Die Auseinandersetzung zwischen Bestand und Moderne ist spannend“

02. März 2023

Der Heraus­geber des Archi­tek­tur­bild­bandes „Alter Wall – Neue Stadt“ erzählt über seinen Werdegang vom Archi­tekten zum Publi­zisten, seine Tendenz zu gut gemachter normaler Archi­tektur und was er am Alten Wall für besonders gelungen hält.

Dass die faszi­nie­rende Geschichte der Neuent­wicklung des Flanier-Boule­vards Alter Wall in zahlreichen Bilddo­ku­menten und mit unter­schied­lichen Blick­winkeln in einem 256 Seiten dicken Buch so spannend zusam­men­ge­tragen wurde, ist auch sein Verdienst. Denn auf Anregung des Archi­tek­ten­büros GMP, die das neue Gesicht des Alten Wall mitent­wi­ckelt haben, fungierte Gert Kähler als Heraus­geber. Wer sich in Deutschland mit Archi­tek­tur­ge­schichte beschäftigt, kommt an dem gebür­tigen Eppen­dorfer nicht vorbei. Denn er ist so etwas wie der Grand­sei­gneur der Archi­tek­tur­ver­mittlung. Zahlreiche Publi­ka­tionen, TV-Berichte und sogar ein Kinderbuch (Scifun-City) machten ihn zu einem der bekann­testen Publi­zisten zum Thema Archi­tektur. Und das obwohl er eigentlich von Haus aus Architekt ist.

Sieben Jahre lang übte er den Beruf nach seinem Studium in Berlin auch aus, folgte aber dann seinem damaligen Chef, der als Professor nach Hannover ging. Das fiel ihm nicht schwer, denn er selbst hielt sich nicht für einen guten Archi­tekten. „An den Hochschulen lernt man nicht, wie man baut, sondern nur wie man entwirft. Ich hatte zu viel Respekt mit dem Geld anderer Leute zu hantieren. Wenn man aber Angst vorm Bauen hat, ist man kein guter Architekt.“ Und so landete er zunächst als Hochschul-Assistent in der Lehre. Er promo­vierte und habili­tierte sogar und hatte diverse Gastpro­fes­suren für Archi­tek­tur­ge­schichte in Aachen, Braun­schweig und Berlin inne. Ein feste Professur blieb ihm jedoch versagt und so entschied er sich 1988 für die Freibe­ruf­lichkeit und begann „Archi­tektur zu vermitteln“. Zwar hatte er keine publi­zis­tische Ausbildung, aber das Schreiben über Archi­tektur lag ihm. „Wenn man genug veröf­fent­licht hat, ist man Fachmann“, erinnert er sich mit einem kleinen Schmunzeln auf den Lippen. Damals gab es ein großes Interesse und eine breite Bericht­erstattung über archi­tek­to­nische Entwick­lungen. Gert Kähler schrieb aber nicht nur für renom­mierte Zeitungen wie die Süddeutsche Zeitung und FAZ, auch Fernseh­re­por­tagen etwa für das ZDF und den NDR drehte er.

Plädoyer für das Normale

Sein Blick auf die Archi­tektur in der Hanse­stadt ist unver­klärt. „Das Heraus­ra­gende fehlt in Hamburg. Die Elphi ist eine Ausnahme. Und im Wohnungsbau ist Hamburg guter Durch­schnitt.“  Was sich eher kritisch anhört, ist von Kähler gar nicht negativ gemeint.  Er ist ein Befür­worter von „gut gemachtem Normalen“. Gerade Wohn- und Bürohäuser müssen seiner Meinung nach eher praktisch sein und funktio­nieren, als „archi­tek­to­ni­sches Spektakel zu bieten“. „Warum muss an der Reeperbahn ein schiefer Büroturm stehen? Das wirkt wie ein Gag, der nach dem ersten Hingucken aufdringlich wird. Ein solches Gebäude steht jedoch mindestens 50 Jahre“, merkt er zu dem von Hadi Teherani entwor­fenen Turm an. Archi­tektur, die er in Hamburg schätzt, sind häufig Gebäude, bei denen „eine Ausein­an­der­setzung von Moderne und Bestand“ statt­findet. So hält er das Barlach-Haus im Jenisch-Park, das dem klassi­schen Jenisch-Haus entge­gen­ge­setzt wurde, für sehr gelungen. Auch das Hanse­viertel, das sich erstmals wieder mit Backstein beschäf­tigte, führt er als positives Beispiel an.

Und seine Aussage zum Alten Wall ist in seiner Welt ein großes Lob: „Der Umbau am Alten Wall ist gelungen“. Dabei findet er nicht nur für die techni­schen Heraus­for­de­rungen würdi­gende Worte. „Der Alte Wall ist eine Aufwertung für das gesamte Quartier. Und die neue Verbindung durch Rathaushof über die neue Brücke übers Fleet ist eine städte­baulich bemer­kens­werte Entscheidung gewesen.“ Die Verbindung vom Bestand und Moderne hat für ihn im Uniqlo-Shop am Kopf des Alten Wall ein sicht­bares, heraus­ra­gendes Ergebnis erbracht. In dem Laden der inter­na­tio­nalen Modekette führt nämlich zum Beispiel eine geschwungene moderne Treppe unter dem erhal­tenen Octagon in die anderen Etagen. Neben der Treppe sind wunder­schöne Säulen mit alten Mosaiken zu entdecken. „Diese Kombi­nation ist sehr gelungen.“  Das klingt schon fast schwärmerisch.

Auch wenn Gert Kähler inzwi­schen wieder in Eppendorf wohnt, erinnert er sich gerne an seine Zeit, als er in der Altstadt von Altona lebte. „Dort gab es eine sehr vielfältige Mischung von Milieus.“ Seine Faszi­nation für Archi­tektur ist auch heute noch ungebrochen. So arbeitet er zurzeit an einem Lehrbuch über 250 Jahre Archi­tek­tur­ent­wicklung für Studie­rende. Und macht damit einmal mehr, was er am besten kann: Archi­tektur vermitteln.

Weitere Infor­ma­tionen

Das Buch „Alter Wall – Neue Stadt“ ist im Dölling und Galitz-Verlag erschienen und kann für 34 Euro im Buchhandel gekauft werden. Das Buch ist auch erhältlich im Bucerius Book Shop im Alten Wall 12 im Bucerius Kunst Forum.

https://bucerius-bookshop.de/

https://dugverlag.de/